Begegnung
Tanzen, bis es unter die Haut geht: Ein Atelierbesuch bei der Künstlerin Conny Wepfer in Adlikon bei Andelfingen
Auch wenn es wohl in keinem Land der Welt so viele freischaffende Kunstschaffende, so viele Stiftungen, Museen und Kulturinstitutionen gibt wie in der Schweiz, hat es die regionale Kunstszene im Raum Zürich zurzeit nicht sehr einfach. Dies nicht nur, weil zahlbare, helle Atelierräume in den Zentren durch die Immobilienspekulation zunehmend ein rares Gut geworden sind, sondern auch, weil sich der Kunstmarkt mit den Möglichkeiten des Internets auch für die Galeristen und Sammler grundlegend verändert hat. Wer sich für das regionale Kulturschaffen interessiert, tut somit gut daran, sich nicht nur im Netz und in den Galerien, sondern sich auch selbst in den Ateliers und Werkräumen der Künstlerinnen und Künstler der eigenen Region umzusehen.
Das Atelier von Conny K. Wepfer befindet sich in einem Scheunenanbau in Adlikon, einem Weiler rund 12 km nördlich von Winterthur. Der Hauptraum ist nicht besonders gross, um so mehr erstaunt uns, in welch grossen Formaten die Künstlerin in den letzten Jahren arbeitet.
Mit einer neuen Serie von grossformatigen Leinwänden erkundet Wepfer die Mikrodimensionen geschundener, vernarbter und wieder vernähter Haut. Dafür arbeitet sie mit unterschiedlichsten Materialien und Techniken. Tüllstoffe und leichte Fadengespinste sowie transparente Flächen sollen uns an unsere eigene Verletzlichkeit erinnern. Die leicht wirkenden, zum teil hautfarbenen gemalten Zonen kontrastieren mit dunklen und kräftigen Farbflächen und wirken auf diese Weise stabilisierend. In den abstrakten Formen sind manchmal nur schemenhaft Körperteile angedeutet. Fest verschränken sich die Farben und die verschiedenen Techniken ineinander oder schweben übereinander. „Wenn man das Elend und die Schwierigkeiten zum Beispiel von Flüchtlingen sieht, geht einem das unter die Haut. Ja, man könnte aus der eigenen Haut fahren, angesichts der Probleme unserer Zeit“, kommentiert Conny K. Wepfer ihre Arbeit. Mit ihren jüngsten Arbeiten setzt sich die Künstlerin aber nicht nur auf unmittelbare Weise mit den Themen unserer Zeit auseinander, sondern sie verfolgt ebenso konsequent ihre eigenen formalen Fragen.
Conny K. Wepfer beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren als Malerin mit dem menschlichen Körper. Zu ihrem ersten Beruf als ausgebildete Tänzerin hat sie mit ihrer zweiten Berufsausbildung als Modedesignerin nicht nur ein Flair für Bewegung und Rhythmus, sondern für alle Formen der textilen Techniken. „Bereits als Kind habe ich genäht und es erfüllte mich schon damals mit grosser Befriedigung aus Altem Neues zu erschaffen“, erklärt sie.
In früheren Arbeiten hat die seit 1990 freischaffende Künstlerin expressive Momente der Bewegung und wirbelnde Körper geschaffen. Sie ist nun mit diesen neuen Arbeiten zum Thema Haut und dem monumentalen Formaten der Dringlichkeit der Thematik gefolgt. Diese Grossformate wollen unter die Haut gehen. In grosszügigen Gesten tanzen die Formen vor unseren Augen. Fäden und Stoffteile wuchern über das Format hinaus und greifen in die Umgebungsgestaltung ein. Damit greift Wepfer eigene, ältere Arbeiten auf. So hat sie in den letzen Jahren neben ihrem malerischen Werk auch textile Installationen geschaffen, wo sie mit Trinkhalmen oder mit auf dem Flohmarkt gefundenen alten Häckeldecken die Umgebung subtil neu gestaltet hat. Die Faszination für diese transparenten Arbeiten mit ihrer Strahlkraft durch den Hell-Dunkelkontrast hat die Künstlerin nun in der Serie „Haut“ überzeugend und konsequent weitergeführt. Es lässt sich nur wünschen, dass diese Serie und die neuesten Arbeiten von Conny K. Wepfer einem breiteren Publikum gezeigt werden.
Johanna Wirth Calvo, Kunsthistorikerin lic. phil.